Neue Zürcher Zeitung

FORSCHUNG UND TECHNIK

Mittwoch, 1. September 2004 · Nr.203


Anhaltende Diskussionen um das Sterben der Dinosaurier

Bohrung in den Chicxulub-Krater bringt neue Fakten - aber auch neue Fragen

Am südlichen Rand des Golfs von Mexiko liegt der Chicxulub, einer der berühmtesten Krater überhaupt. Man geht davon aus, dass er durch den Einschlag eines Asteroiden entstanden ist, der den Dinosauriern und vielen anderen Arten zum Verhängnis wurde - eine These, die allerdings nicht ganz unbestritten ist. Nun sollte eine Bohrung Klarheit schaffen. Die Ergebnisse werfen jedoch auch neue Fragen auf.

Chicxulub-Krater, Mexico

Eine Computerdarstellung des Chicxulub-Kraters kurz nach seiner Entstehung. (Bild key)


In den Gesteinsproben der Bohrung Yax-1, die knapp ausserhalb des Kraterzentrums liegt, konnten, anders als in früheren Bohrkernen aus dem Kraterzentrum, allerdings keine erhöhten Werte der Platinmetallgruppe nachgewiesen werden. Die Forscher ziehen zur Erklärung numerische Simulationen heran, die zeigen, dass bei einem Himmelskörper, der in einem Winkel von weniger als 45 Grad auf die Erde auftrifft, die Bestandteile des Meteoriten zum einen völlig aufschmelzen und teilweise sogar verdampfen. Zum anderen werden die Impaktite nicht symmetrisch um den Krater abgelagert, sondern sind auf der Seite, von der der Himmelskörper geflogen kommt, weniger mächtig, da sie zur gegenüberliegenden Seite geschleudert werden. Sollte man nun genau auf der Seite des Anflugs gebohrt haben, würde dies nicht nur das Fehlen der Platinmetalle plausibel machen, sondern es wäre auch eine Erklärung für die geringe Mächtigkeit der Impaktite.

Alter Streit neu entfacht

Als im vergangenen Frühjahr auf einer geowissenschaftlichen Tagung in Nizza die ersten Ergebnisse der Forschungsbohrung diskutiert wurden, flammte ein seit etwa zehn Jahren schwelender Streit erneut auf. Gerta Keller von der Princeton University in den USA und eine kleine Gruppe von Erdwissenschaftern bezweifeln nämlich, dass ein Asteroideneinschlag für das Artensterben verantwortlich war. Das Team sieht sich aufgrund der unerwarteten Abfolge der Gesteinsschichten im Bohrkern nun bestätigt: Es glaubt, dass der Asteroid' nicht nur 300 000 Jahre früher als angenommen eingeschlagen ist, sondern auch ,kleiner war und deshalb das Artensterben nicht allein verursachen konnte, und es geht davon aus, dass es mehrere Impaktereignisse gab und dass auch das Aufquellen der Flutbasalte im heutigen Indien eine Rolle gespielt haben könnte.

Ihre Hypothese versuchen Keller und ihre Kollegen in erster Linie mit Mikrofossilien in der im Anschluss an den Impakt erfolgten Sedimentablagerung zu belegen. Sie wollen darin Fossilien einzelliger Mikroorganismen mit einem Kalkgehäuse identifiziert haben, sogenannte Foraminiferen, die es nur in der Kreidezeit, also vor dem Einschlag, gab. Gestützt darauf argumentieren sie, dass der Einschlag vor dem Ende der Kreidezeit stattgefunden haben müsse. Andere Paläontologen, wie etwa Jan Smit von der Vrije Universiteit Amsterdam, sind allerdings der Ansicht, dass es sich bei den Funden gar nicht um Mikrofossilien, sondern um Dolomitkristalle handle. Ausserdem wäre es auch nicht verwunderlich, so meinen die Kontrahenten des Keller-Teams, wenn man Foraminiferen der Kreidezeit in den Sedimenten nach dem Impakt finden würde, da sie durch die Erosion - als das Meerwasser nach dem Einschlag mit enormer Energie in den Krater zurückströmte - aus älteren Schichten hätten ausgewaschen und in den Krater verfrachtet werden können. Das Keller-Team glaubt aber nicht an einen solchen «backwash». Es sieht vielmehr in den Schichten über den Impaktiten Hinweise auf eine normale Ablagerung der Sedimente.

Auch hier kommt aber ein spanisches Team unter Leitung von José Arz von der Abteilung für Erdwissenschaften der Universität Zaragoza, das den gleichen Kernabschnitt auf Mikrofossilien untersuchte, zu anderen Ergebnissen. Direkt über den Impaktiten fand es weder Hinweise auf eine ruhige Sedimentation noch auf hier eingelagerte Mikrofossilien der Kreidezeit. Erst weiter oben in der Sedimentsäule tauchen laut den Spaniern Foraminiferen des Tertiärs auf. Dies zeigt, dass es drei Millionen Jahre gedauert haben dürfte, bis wieder ein normales Ökosystem hergestellt war.

Eines der Hauptargumente gegen die Hypothese des Keller-Teams ist aber, dass man weltweit nur eine und nicht mehrere Impaktlagen in diesem geologischen Zeitabschnitt findet. Diese Lage konnte anhand geochemischer Analysen eindeutig mit dem Chicxulub-Impaktkrater in Verbindung gebracht werden. Hinzu kommt, dass es statistisch sehr unwahrscheinlich ist, dass innerhalb von 300 000 Jahren gleich zweimal ein derartig grosser Asteroid auf die Erde trifft. Ein solcher Einschlag ist nur einmal in hundert Millionen Jahren zu erwarten. Yax-1 wird angesichts der neuen Fragen aber mit Sicherheit nicht die letzte Bohrung in den Krater gewesen sein.

Simone Ulmer

Vor etwa 65 Millionen Jahren, am Übergang von der Kreide- in die Tertiär-Zeit, hat östlich des heutigen Mexikos ein Asteroid eingeschlagen und einen riesigen Krater mit einem Durchmesser von 180 Kilometern hinterlassen. Dieser sogenannte Chicxulub-Krater reicht von der Halbinsel Yucatán bis in den Golf von Mexico hinein. Der Chicxulub ist einer der grössten und besterhaltenen Meteoritenkrater der Welt. Er ist von kilometerdicken Sedimenten überdeckt, die ihn vor der Erosion schützten, ihn aber auch lange Zeit im Verborgenen liessen. Seine Entdeckungsgeschichte liest sich daher wie ein Kriminalroman. Zehn Jahre detektivisches Zusammenfügen von Hinweisen und Spuren führten 1990 zu seinem Auffinden. Nach Meinung der meisten Experten hatte der Einschlag das zweitgrösste Artensterben in der Erdgeschichte ausgelöst. Vor 65 Millionen Jahren starben nicht nur die Dinosaurier, sondern insgesamt 75 Prozent aller Arten aus.

Verräterische Iridium-Schicht

Die Geschichte des Chicxulub nahm 1980 ihren Anfang, als der amerikanische Physiker Luis Alvarez und sein Sohn Walter, ein Geologe, in Italien in einer dünnen Tonschicht, welche die Gesteine der Kreidezeit von jenen des Tertiärs trennt, ungewöhnlich hohe Gehalte des auf der Erde sonst sehr seltenen chemischen Elements Iridium fanden. Neben Iridium war auch der Gehalt anderer Elemente der sogenannten Platingruppe hoch. Da die Platinmetalle in der Erdkruste eine Häufigkeit von nur etwa 0,02 Milliardsteln besitzen, in Meteoriten aber das Zehntausendfache davon, gingen die beiden Alvarez davon aus, dass die hohen Konzentrationen extraterrestrischen Ursprungs sein müssen. Sie postulierten, dass es an der Kreide-Tertiär-Grenze einen verheerenden Asteroideneinschlag gegeben habe, der auch das grosse Sterben verursachte. Obwohl bald auf der ganzen Welt Iridiumanomalien in Sedimenten nachgewiesen wurden, die die Kreide-Tertiär-Grenze markieren, blieb die Fachwelt jedoch skeptisch. Erst als zehn Jahre später der Chicxulub-Krater entdeckt wurde, fand die These und damit auch die Annahme breite Akzeptanz, dass grosse Zäsuren in der Evolution durch Katastrophen und nicht durch ein allmähliches Aussterben verursacht wurden.

Da es bis anhin kaum durchgehende Bohrungen bis in das Gestein, in das der Asteroid einschlug, gegeben hat, wurde im Rahmen des Inter-national Continental Scientific Drilling Program das Chicxulub Scientific Drilling Project gestartet. Das Hauptziel der Forschungsbohrung Yaxcopoil-1, kurz auch Yax-1 genannt, war, eine eindeutige Verbindung zwischen dem Asteroideneinschlag und dem Sterben der Dinosaurier und anderer Arten herzustellen. Zudem erhoffte man sich neue Erkenntnisse über die Bildung derartiger Meteoritenkrater und über die Auswirkung solcher Einschläge auf das Ökosystem Erde.

Am 9. Dezember 2002 begann sich daher 40 Kilometer südwestlich von Merida, 60 Kilometer vom Kraterzentrum entfernt, ein Bohrmeissel in den Boden zu bohren. In 77 Tagen wurde rund 1511 Meter tief gebohrt und wurden 1103 Meter Bohrkerne an die Oberfläche gebracht. Auf diese warteten Wissenschafter auf der ganzen Welt. Die beteiligten Teams haben ihre Untersuchungsergebnisse nun gemeinsam in der Fachzeitschrift «Meteoritics and Planetary Science» publiziert. Die Resultate erhärten im Wesentlichen die These, dass der Asteroid mit einem Durchmesser von 10 bis 14 Kilometern aufgrund seiner Grösse und der Heftigkeit des Einschlags tatsächlich in der Lage war, das Ökosystem der Erde aus dem Gleichgewicht zu bringen. Andere Erklärungsansätze für das Massensterben, wie beispielsweise das Aufquellen der indischen Flutbasaltdecken aus dem Erdinnern, die sich über Tausende von Quadratkilometern erstrecken und deren Entstehung in denselben Zeitraum fällt, scheinen zunehmend in den Hintergrund gedrängt zu werden. Doch nicht alle Fragen konnten geklärt werden, und neue sind dazugekommen.


Nachdem man sich 795 Meter durch Gesteine des Tertiärs gebohrt hatte, kam es zu ersten Überraschungen. Man hatte eine 800 Meter mächtige Impaktit-Lage erwartet - eine für einen Meteoriteneinschlag typische Abfolge aus ineinander verbackenem, zermahlenem und geschmolzenem Gestein, erstarrten Glasschmelzen und durch den Asteroideneinschlag erzeugten Hochdruck- und Hochtemperatur-Mineralen sowie Resten des Asteroiden. Die Bohrung brachte zwischen -795 und 895 Metern Tiefe aber nur gerade 100 Meter dieser Gesteine zum Vorschein. In 895 Metern Tiefe war bereits die Basis der Impaktite erreicht, und man stiess auf unerwartet mächtige Sedimente der Kreidezeit. Diese waren zudem, entgegen den Erwartungen, auffallend wenig deformiert. Eine Erklärung hierfür könnte die Wahl der Bohrstelle liefern. Der Ort der Bohrung war zwar anhand seismischer Daten, Messungen von Schwereanomalien und früherer Bohrungen ermittelt worden. Kurz vor Bohrbeginn hatte man sich aber für eine andere, seismisch nicht untersuchte Stelle entschieden, vierzig Kilometer von der ursprünglich geplanten entfernt. Diese - in der Veröffentlichung kaum gestreifte - Änderung hatte wohl mit der Nähe der Hazienda Yaxcopoil zu tun, wo die Forscher Unterkunft bekamen.

Aber nicht nur die Abfolge der Sedimente, sondern auch die Zusammensetzung der Impaktite gibt den Forschem Rätsel auf. Laut Burkhard O. Dressler vom Lunar and Planetary Institute in Houston und seinen Kollegen finden sich in den bekannten Impaktlagen anderer Krater keine vergleichbaren Strukturen. Auffallend ist unter anderem, dass in den Impaktiten des Chicxulub kaum Reste gewisser Sedimente zu finden sind, in die der Asteroid einschlug. Dagegen enthalten die Impaktite hohe Anteile an Material aus dem Grundgebirge; höhere, als bisher in vergleichbaren Impaktiten beobachtet werden konnten. Dies könnte ein Mass für die Heftigkeit des Einschlags sein. Auch wenn es bei den Ergebnissen der mineralogischen Untersuchungen der verschiedenen Teams Differenzen gibt, ist man sich aber in wesentlichen Punkten einig. So wird unter anderem aufgrund der Neigung der Sedimentlagen angenommen, dass man einen sogenannten Megablock angebohrt hat, eine Sedimentscholle, die nach dem Einschlag des Asteroiden in den Krater hineingerutscht ist.

Ein dreissig Kilometer tiefes Loch

Neue Modellrechnungen bestätigen sodann die Annahme, dass der Asteroid ein 30 bis 40 Kilometer tiefes Loch in die Erde schlug und einen primären Kraterdurchmesser von 90 bis 100 Kilometern erzeugte. Selbst nachdem die Kruste «zurückgefedert» war, blieb noch immer ein fast 15 Kilometer tiefer Krater bestehen. Die Sedimentsäule aus geschmolzenem und zertrümmertem Gestein, die beim Einschlag aus dem Krater hochgeschleudert wurde und dann in sich zusammenbrach, wurde in Form typischer Impaktite im und um den Krater herum abgelagert. Der primäre Krater wurde laut den Rechnungen dann aber durch verschiedene Megablöcke, die in den Krater rutschten, auf einen Durchmesser von 180 Kilometer vergrössert. Auf Grund der Computersimulationen von Dieter Stöffler vom Institut für Mineralogie der Humboldt-Universität Berlin und seinem Team ist dies innerhalb der ersten Stunde nach dem Einschlag geschehen.

Sedimentologische Untersuchungen von Joanna Morgan von der Abteilung Earth Sciences and Engineering des Imperial College London und ihrem Team ergaben zudem, dass die Auswirkungen des Einschlags bisher eher unterschätzt wurden. Demnach waren die von einem flachen Schelfmeer bedeckten Sedimente, in die der Asteroid einschlug, um 1000 Meter mächtiger und so-mit die Menge der in die Atmosphäre geschleuderten Sedimente wahrscheinlich um 15 Prozent grösser als bisher angenommen.