Vor ungefähr 50'000 bis 60'000 Jahren zog der anatomisch moderne Mensch, Homo sapiens, von Afrika aus, um Schritt für Schritt die ganze Welt zu besiedeln. So verbreitete er sich, über den Nahen Osten und den Bosporus kommend, westwärts in ganz Europa. Verbesserte Datierungsmethoden deuten nun darauf hin, dass diese Besiedlung früher und schneller erfolgt war und die Koexistenz zwischen dem modernen Menschen und seinem nahen Verwandten, dem Neandertaler, wesentlich kürzer gedauert hatte als gedacht. Dies berichtet Paul Mellars von der Universität Cambridge in der Fachzeitschrift «Nature» (Bd. 439, S. 931).
Als Standardmethode zur Altersbestimmung organischer Materialien wie etwa Fossilien verwenden Archäologen die Radiokarbon-Datierung. Dabei nutzen sie aus, dass in der Atmosphäre neben dem stabilen Kohlenstoff- isotop 12C auch radioaktives 14C vorkommt. Lebewesen tauschen über ihren Stoffwechsel mit der Atmosphäre ständig Kohlenstoff aus, so dass in ihrem Körper dasselbe Isotopen-Verhältnis vorliegt wie in der Luft. Während die 12C-Isotope auch nach dem Tod im Organismus erhalten bleiben, zerfällt das 14C mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren. Das sich so im Lauf der Zeit verändernde Verhältnis der beiden C-Isotope wird zur Datierung von bis zu 50'000 Jahre alten Fossilien benutzt.
Kontaminationen mit neuzeitlichem Kohlenstoff durch eingesickertes Grundwasser können die Datierungen allerdings verfälschen. Eine weitere Fehlerquelle sind die über die Jahrtausende veränderlichen Kohlenstoffkonzentrationen in der Atmosphäre.
Jüngst erzielte Fortschritte machen die Radiokarbon-Methode nun gerade
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Deutlich älter als gedacht: Felsmalereien der Chauvet-Grotte in Frankreich. (Gamma) |
im frühen Datierungsbereich wesentlich genauer. So gelang es Wissenschaftern, die Präparierung von Knochenmaterial zu optimieren und Verunreinigungen mit «modernem» Kohlenstoff aus den Proben zu entfernen. Zudem führte die Analyse von Tiefseesedimenten zu einer präziseren Rekonstruktion der atmosphärischen Kohlenstoffverhältnisse der letzten 50'000 Jahre. Georges Bonani, 14C-Spezialist der ETH Zürich, erklärt, dass sich damit genauere Kalibrierungskurven erstellen liessen, mit denen man die Radiokarbon-Werte in eine kalendarische Zeitskala übersetzen könne. «Das ist für uns von grossem Nutzen, weil es zu genaueren Datierungen führt», sagt er.
Die verbesserte Methodik kann Abweichungen von mehreren tausend Jahren zur Folge haben - mit Auswirkungen auf die Frühgeschichte des Menschen. Geht man von den ursprünglichen Radiokarbon-Datierungen aus, begann sich Homo sapiens laut Mellars vor zirka 43'000 Jahren in Europa auszubreiten und drang innert 7000 Jahren nach Westen vor. Nach den korrigierten Daten, fand die Einwanderung dagegen bereits vor 46'000 Jahren statt und vollzog sich in nur 5000 Jahren.
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Das sich zeitlich überschneidende Auftreten des Neuankömmlings und des alteingesessenen Neandertalers bedarf nach der Ansicht Mellars' ebenso der Korrektur. Demnach sollen die beiden höchstens 6000 Jahre zusammen gelebt haben und nicht wie bisher geschätzt 10'000. Für den Urgeschichtler Michael Bolus von der Universität Tübingen ist dies durchaus plausibel. «Wir selber haben auch eine geringere zeitliche Überlappung postuliert», sagt er. Der Homo sapiens sei dem Neandertaler technisch und physiologisch überlegen gewesen und habe sich besser an die sich verändernden Umweltbedingungen anpassen können. «Mit seiner Expansion hat der Mensch den Neandertaler wahrscheinlich zusätzlich zurückgedrängt», sagt Bolus.
Auch die prähistorischen Kunstwerke müssen neu beurteilt werden. Die Felsmalereien der Chauvet-Grotte im Südosten Frankreichs etwa sind laut Mellars schon vor rund 36'000 Jahren entstanden und damit 4000 bis 5000 Jahre älter als bisher angenommen.
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