Der mit dem Wurm tanzt

Allergien Der japanische Arzt Koichiro Fujita hält sich im Darm drei
Bandwürmer gegen seinen Heuschnupfen.

Interview: Thomas Häusler

W ie geht es Ihrem Band-
wurm, Herr Fujita?
Koichiro Fujita:
Momentan leben drei in meinem Darm. Sie werden aber bald sterben, weil sie schon zwei Jahre alt sind.
FACTS: Die meisten Menschen nehmen schleunigst Medikamente, wenn sie Würmer haben. Sie nicht?
Koichiro Fujita: Nein, nein. Die Bandwürmer haben mich von meinem Heuschnupfen geheilt.
FACTS: Wie kamen Sie auf den Wurm?
Fujita: Ich arbeitete im Labor mit Pflanzenpollen, gegen die ich allergisch war. Der Heuschnupfen war schrecklich. Vor vier Jahren nahm ich auf Grund meiner These den ersten Bandwurm.
FACTS: Welche These konnte Sie zum Schlucken von Würmern verleiten?
Fujita: Ursprünglich lebten die Menschen in Symbiose mit Bakterien und Würmern. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten 30 bis 60 Prozent aller Japaner Rundwürmer. Nach dem Krieg gab es eine Kampagne dagegen. Die Rundwürmer verschwanden, die Allergien tauchten auf. Parasiten halten das Immunsystem in Trab. Ist es unterbeschäftigt, so stürzt es sich auf
ungefährliche Pollen und löst Allergien aus. Ich habe ein Eiweiss aus Würmern isoliert, das allergische Hautentzündungen bei Mäusen sofort zum Verschwinden bringt. Nun entwickle ich ein Medikament.
FACTS: Und bis dahin behelfen Sie sich mit Würmern. Sind die nicht schädlich?
Fujita: Mir geht es gut. Die drei japanischen Fischbandwürmer, die ich beherberge, schädigen den Menschen nicht wie andere Varianten. Drei Würmer sind allerdings etwas viel. Ich habe ein wenig zu arg abgenommen, von 85 auf 70 Kilogramm.
FACTS: Was tun Sie dagegen?
Fujita: Nichts. Mir geht es wirklich gut.
FACTS: Wie lange wird eigentlich so ein Bandwurm bei der guten Fütterung?
Fujita: Länger als zehn Meter. Da meine Därme rund neun Meter lang sind, kommt er manchmal zum Vorschein. Dann schneide ich ihn etwa einmal pro Monat ab.
FACTS: Ah, ja. Sind Sie nicht eine Ansteckungsquelle für andere?
Fujita: Nein. Ein Wurm gibt zwar täglich 200'000 Eier ab, aber sie sind nicht ansteckend, selbst wenn man sie essen würde. Die Eier infizieren
Wasserflöhe. Werden die von Fischen gefressen, dann wachsen die Parasiten zu infektiösen Larven heran.
FACTS: Und Sie kommen zu Ihren Haustieren, indem sie infizierten Fisch essen?
Fujita: Ja, ich suche befallene Lachse.
FACTS: Beteiligen sich noch andere am Versuch?
Fujita: Meine Frau nahm Würmer. Aber nach zwei Monaten waren sie tot. Meine

«Meine Frau nahm Würmer. Aber nach zwei Monaten waren sie tot.»

Koichiro Fujita, Arzt

Frau scheint immun zu sein. Das kommt vor. Einige von Allergien geplagte Menschen haben mich auch schon nach Würmern gefragt. FACTS: Und Sie raten ihnen zu Ihrer Methode?
Fujita: Nicht unbedingt. Für mich ist sie gut. Wenn aber jemand zu Beispiel zu dünn ist, dann ist abzuraten.
FACTS: Was sagen Ihre Forscherkollegen?
Fujita: Viele sind gegen mein Vorgehen. Sie sagen, alle Parasiten seien schlecht für den Menschen. Aber die Japaner haben eine Obsession mit der Sauberkeit.
FACTS: Wie wirkt sich das denn aus?
Fujita: Viele Japaner baden mehrmals pro Tag, ihre Küchen und Toiletten sind voll mit bakterienkillenden Chemikalien und Deodorants. Schon Grundschüler haben Angst, wegen Unsauberkeit gehänselt zu werden. Im Zug sieht man viele Männer, die sich ständig im Spiegel betrachten und mit Desinfektionstüchern abreiben, um ihren Freundinnen jedweden Grund zum Vorwurf ‹Du stinkst!› zu nehmen. Diese hygieneverrückten Leute werden in 100 Jahren ausgestorben sein.

 

FACTS 10. Mai 2001

 

PARASITOLOGE

DER 61-JÄHRIGE Arzt Koichiro Fujita forscht an der Medizinischen and Zahnmedizinischen Universität Tokio. Seit vier Jahren beherbergt er im Darm japanische Fisch-bandwürmer (Diphyllo-bothrium nihonkaienze) gegen Heuschnupfen. Fujita hat zwei Bücher veröffentlicht: «Die Krankheit Sauberkeit» and «Der lachende Rundwurm» (beide nicht auf Deutsch erhältlich).

Wie sieht ein unabhängiger Allergologe Fujitas Versuch? «Interessant - aber als Einzelfall sagt das noch nichts aus», urteilt Harald Renz von der Uni Marburg. Zwar gebe es Hinweise, dass Parasiten Allergien mildern, in anderen Experimenten hingegen kurbelten Würmer allergische Reaktionen sogar an. «Ich rate ab, das zu wiederholen.»