read the full article at http://einstein.stanford.edu


WISSEN

Tages-Anzeiger · Donnerstag, 15. April 2004


Satellit testet Einsteins Relativitätstheorie

Hochpräzise Messungen sollen zeigen, ob das Schwerefeld der Erde den umgebenden Raum verzerrt, wie Einstein vorhergesagt hat.

Von Rainer Kayser

Mit Hilfe ultragenauer Kreisel wollen amerikanische Physiker in den kommenden Monaten die einsteinsche Relativitätstheorie mit bislang unerreichter Präzision überprüfen. Die Kreisel - so genannte Gyroskope - sollen am kommenden Montag an Bord des Satelliten Gravity Probe B ins All geschossen werden. Winzige Störungen der Kreiselbewegungen werden den Forschern dann Aufschluss über die von der Relativitätstheorie vorhergesagte Verzerrung der Raumzeit durch das Schwerefeld der Erde liefern.
     «Gravity Probe B besitzt das Potenzial, fundamentale Eigenschaften des unsichtbaren Universums aufzudecken, eines Universums, das uns im Vergleich zu unseren Alltagserfahrungen fremdartig und bizarr vorkommt», erklärt NASA-Forscherin Anne Kinney. Denn jede Abweichung von den Vorhersagen der Relativitätstheorie, auf die der Satellit stösst, wäre eine Sensation - und ein Schritt in Richtung auf die lange gesuchte Vereinheitlichte Theorie, unter deren Dach sich alle bekannten Naturkräfte und damit auch Relativitätstheorie und Quantenphysik endlich vereinigen liessen.

Raum wird mitgezerrt

Nach den klassischen Gesetzen der Mechanik behält ein Kreisel seine Rotationsachse bei, solange keine Kräfte von aussen auf ihn wirken - also zum Beispiel in der Schwerelosigkeit des Weltalls. Deshalb auch werden schnell rotierende Kreisel häufig zur Stabilisierung und Lagekontrolle von Satelliten verwendet.
     In seiner allgemeinen Relativitätstheorie zeigte Albert Einstein jedoch, dass sich die Schwerkraft als eine Krümmung des Raums verstehen lässt - und dies hat Konsequenzen für die Kreiselbewegung. Die Raumkrümmung durch das irdische Schwerefeld nämlich führt zu einer langsamen Torkelbewegung der Kreiselachse. Diese «geodätische Präzession» beträgt für die Gyroskope an Bord von GP-B gerade einmal 6,6 Bogensekunden pro Jahr. Eine Bogensekunde ist der 3600ste Teil eines Winkelgrads.

.

Für die Physiker noch wichtiger, zugleich aber auch noch kleiner, ist ein weiterer Effekt, das so genannte Frame Dragging. Bei diesem Phänomen zerrt das irdische Schwerefeld durch seine Rotation den umgebenden Raum gewissermassen geringfügig mit. Die Folge für die Kreisel an Bord von GP-B: Eine Verschiebung um gerade einmal 40,9 Millibogensekunden pro Jahr.
     Um derart minimale Bewegungen nachzuweisen, müssen die Gyroskope immensen Genauigkeitsanforderungen genügen und völlig störungsfrei gelagert sein. Die tischtennisballgrossen Kreisel sind nahezu perfekte Kugeln aus reinem Quarz, die im Vakuum von elektrischen Feldern gehalten in einer mit flüssigem Helium gekühlten Kammer rotieren - «der grössten Thermosflasche der Welt», so Kinney. Die Abweichung von der perfekten Kugelform beträgt weniger als ein Hunderttausendstelmillimeter.

Stern als Referenzpunkt

Ein Spezialteleskop an Bord des Satelliten vergleicht die Rotationsrichtung der Kreisel ständig mit der Richtung zum Referenzstern HR 8703 im Sternbild Pegasus. Die Messungen sind so genau, dass bei der Auswertung sogar die minimalen Positionsverschiebungen des Sterns durch seine Eigenbewegung sowie durch die Bewegung von Sonne, Erde und Satellit berücksichtigt werden müssen.
     Deshalb vermisst der Astronom Irwin Shapiro vom Center for Astrophysics in Cambridge, Massachusetts, mit seinem Team bereits seit sieben Jahren die Bewegung von IM Pegasi am Himmel mit Hilfe von mehreren Radioteleskopen. Diese Messungen müssen während der gesamten 16 Monate dauernden Mission von Gravity Probe B fortgesetzt werden.
     «Unser ganzes kosmologisches Verständnis basiert darauf, dass die allgemeine Relativitätstheorie korrekt ist», erklärt der Physiker Robert Reasenberg, ebenfalls vom Center for Astrophysics, die Bedeutung der Messungen. «Wenn wir feststellen, dass es einen fundamentalen Fehler in dieser Theorie gibt, dann hat das enorme Auswirkungen auf unsere Beschreibung des Kosmos und seiner Geschichte. Eine winzige Abweichung in einer lokalen Messung kann so unser Verständnis des ganzen Universums beeinflussen.»
     Bisher hat die Relativitätstheorie allen Tests standgehalten. So beweist etwa die Ablenkung von Lichtstrahlen im Schwerefeld der Sonne die von Einstein vorhergesagte Krümmung des Raumes.

http://einstein.stanford.edu