Neue Zürcher Zeitung FORSCHUNG UND TECHNIK Mittwoch, 2. Juni 2004 · Nr.125

Einst und jetzt

Ein Parameter, der die Welt veränderte

Die bewegte Geschichte der kosmologischen Konstanten

Keine andere physikalische Grösse hat ein solches Auf und Ab hinter sich wie die kosmologische Konstante Lambda. Von Albert Einstein eingeführt, ist sie immer wieder für tot erklärt worden, bis sie Ende der 1990er Jahre ein triumphales Comeback gefeiert hat. Mit dieser Konstante steht und fällt das neue Weltbild der Kosmologie.

Schematische Darstellung der zeitlichen Entwicklung unseres Universums

Spe. Paradigmenwechsel sind in der Wissenschaft etwas Seltenes. Fast 1500 Jahre lang waren die Gelehrten davon überzeugt, dass die Erde im Mittelpunkt des Kosmos steht. Erst Kopernikus verbannte sie von dort, indem er postulierte, die Erde kreise zusammen mit den anderen Planeten um die Sonne. Dieses heliozentrische Weltbild wurde später von Kepler und Newton auf eine solide mathematisch-physikalische Grundlage gestellt. Albert Einstein wagte es dann, an diesem Fundament zu rütteln. In seiner 1916 publizierten Arbeit «Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie» hinterfragte er die Newton'sche Vorstellung, «der absolute Raum bleibe vermöge seiner Natur und ohne Beziehung auf einen äusseren Gegenstand stets gleich und unbeweglich». In Abkehr davon verknüpfte Einstein die Geometrie von Raum und Zeit mit der Materie und räumte dieser damit einen zentralen Stellenwert ein.

Einstein erfindet eine Konstante

Vor unseren Augen bahnt sich momentan ein weiterer Paradigmenwechsel an. In den letzten Jahren haben sich die Hinweise gehäuft, dass die Materie doch nicht die dominante Rolle im Kosmos spielen kann, die Einstein ihr zugedacht hat. Zur gesamten Energiedichte des Universums trägt sie nach jüngsten Erkenntnissen nämlich nur 25 Prozent bei. Vielmehr wird die Entwicklung des Kosmos von einer nichtmateriellen Energieform vorangetrieben, deren Ursprung bis heute völlig rätselhaft ist. Diese «dunkle» Energie manifestiert sich durch einen negativen, der Gravitationskraft entgegenwirkenden Druck, der das Universum immer schneller aufbläht. Die Materie folgt dieser beschleunigten Expansion, ohne sie entscheidend zu beeinflussen.

Kurioserweise war es Einstein selbst, der eine solche Energie erstmals ins Spiel gebracht hat - wenn auch aus völlig anderen Beweggründen. Im Jahr 1917, also nur ein Jahr nach seiner bahnbrechenden Arbeit, gab er eine Lösung für die Feldgleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie an (sie bestimmen die Geometrie der Raum-Zeit in Abhängigkeit von der Verteilung der Materie), die ein völlig neues Bild vom Kosmos nahelegte. Während das Newton'sche Universum unendlich ausgedehnt ist, favorisierte Einstein aus verschiedenen Gründen ein sphärisch gekrümmtes, in sich geschlossenes Universum ohne Ränder. Eine ungefähre Vorstellung von dieser Geometrie vermittelt die zweidimensionale Oberfläche einer Kugel. Dieses Universum sollte gleichmässig mit Staub gefüllt sein, wobei die Staubpartikel die Sterne beziehungsweise die Galaxien repräsentieren. Um eine solche Lösung zu erzwingen, sah sich Einstein genötigt, die Feldgleichungen um einen konstanten Summanden zu erweitern. Diese kosmologische Konstante führte zum einen zur gewünschten Geometrie. Zum anderen lieferte sie einen nach aussen wirkenden Druck, der das Universum davor bewahrte, unter dem Einfluss der Schwerkraft zu schrumpfen. Das Resultat war ein statisches Universum, wie es durch damalige Beobachtungen nahegelegt wurde.

Einstein war von dieser ad hoc eingeführten Konstante nicht sonderlich begeistert. Aus ästhetischen Gründen hätte er es vorgezogen, die Feldgleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie in ihrer ursprünglichen Form zu belassen. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, sein kosmologisches Modell gegen konkurrierende Ansätze zu verteidigen. Schon 1922 hatte der russische Physiker Alexander Friedmann erkannt, dass die Feldgleichungen eine ganze Schar von Lösungen zulassen, darunter auch dynamische Weltmodelle. Unabhängig von ihm entdeckte der belgische Mathematiker und Priester Georges Lemaître 1927 eine Lösung der Feldgleichungen, die einem expandierenden Kosmos entsprach.

Belege für ein expandierendes Universum

Einstein blieb diesen Modellen gegenüber skeptisch. Auch wenn er in den Rechnungen keinen Fehler entdecken konnte, hielt er die dynamischen Lösungen der Feldgleichungen für unphysikalisch. Seine Meinung änderte er erst im Lichte neuer Entdeckungen. Im Jahr 1929 hatte der amerikanische Astronom Edwin Hubble bei der Vermessung der Rotverschiebung im Spektrum von Galaxien festgestellt, dass diese sich umso schneller von der Erde wegbewegen, je weiter sie entfernt sind. Damit war die Vorstellung von einem statischen Universum unhaltbar geworden. Vielmehr sprach die Entdeckung für einen expandierenden Kosmos, wie er von Lemaître vorgeschlagen worden war. An diesem Punkt gab auch Einstein seinen Widerstand auf. Er verwarf die kosmologische Konstante als überflüssig und nicht länger gerechtfertigt.

Während für Einstein die Sache damit erledigt war, hielten andere Forscher an der kosmologischen Konstante fest. Die Expansionsrate des Universums, die Hubble gemessen hatte, war nämlich ausserordentlich gross. In die Vergangenheit zurückextrapoliert ergab sich ein Alter für das Universum von weniger als zwei Milliarden Jahren. Das war mit dem Alter der Erde und der Sterne nicht zu vereinbaren. Sowohl Lemaître als auch der Astronom Arthur Eddington reaktivierten deshalb die kosmologische Konstante. Während sie bei Einstein dazu gedient hatte, die Gravitationskraft in Schach zu halten und das Universum statisch zu machen, wurde ihr nun die Rolle zugedacht, die durch die Schwerkraft verlangsamte Expansion des Weltalls wieder zu beschleunigen. Die Expansionsrate, die wir heute beobachten, wäre damit grösser als in früheren Zeiten, was dem Universum mehr Zeit für seine Entwicklung gelassen hätte. Mit der Zeit stellte sich allerdings heraus, dass Hubble eine viel zu grosse Expansionsrate gemessen hatte. Mit den verbesserten Daten sah man keine Notwendigkeit mehr, die Entwicklung des Universums künstlich zu verzögern.

Eine kurze Renaissance erlebte die kosmologische Konstante Ende der 1960er Jahre. Damals schienen Beobachtungen von weit entfernten Quasaren auf eine Phase der Stagnation in der Expansion des Universums hinzudeuten. Nach eingehenderen Untersuchungen wurde die kosmologische Konstante jedoch wieder in der Mottenkiste verstaut. Immer mehr setzte sich nun die Überzeugung durch, dass die Geometrie und die Dynamik des Universums alleine durch seinen Materiegehalt bestimmt würden. Offen war lediglich die Frage, wie viel Materie vorhanden ist und wie stark die Expansion des Universums durch sie abgebremst wird.

Ein triumphales Comeback

Für viele Kosmologen mag es ein Schock gewesen sein, als sie Ende der 1990er Jahre eines Besseren belehrt wurden. Bei der Beobachtung von weit entfernten Supernova-Explosionen hatten zwei Gruppen von Astronomen unabhängig voneinander festgestellt, dass sich die Expansion des Universums in den letzten Milliarden Jahren nicht verlangsamt, sondern beschleunigt hat. Damit feierte die kosmologische Konstante eine triumphale Wiederkehr. Bald kamen andere Beobachtungen hinzu. Durch eine genaue Vermessung der kosmischen Hintergrundstrahlung liess sich zum ersten Mal die Geometrie unseres Universums ermitteln. Der Raum ist demnach nicht sphärisch gekrümmt, wie es Einstein vorgeschwebt hat, sondern «flach» (die zweidimensionale Analogie wäre eine Scheibe).

Zusammen mit den Supernovae-Daten machte es diese Beobachtung möglich, die Energiedichte des Universums zu beziffern und sie in ihre einzelnen Bestandteile aufzuschlüsseln. Dabei zeigte sich, dass die mit der kosmologischen Konstante einhergehende dunkle Energie mit rund 75 Prozent den Löwenanteil ausmacht. Diese Zahl verschleiert sogar noch, wie bedeutungslos die Materie ist, die man mit dem Auge oder mit Teleskopen sehen kann. Zu den verbleibenden 25 Prozent der Energiedichte trägt die leuchtende Materie nämlich nur 4 Prozent bei. Der Rest geht vermutlich auf das Konto von bis heute noch unbekannten Elementarteilchen, die nicht mit Licht wechselwirken und deshalb unsichtbar bleiben. Die Sterne und Galaxien, die wir für die Quintessenz des Universum halten, sind also in Wirklichkeit nur Tropfen in einem Ozean aus dunkler Materie und dunkler Energie.

Natürlich stellt sich nach der bewegten Geschichte der kosmologischen Konstanten die Frage, wie viel Vertrauen man in das jüngste Comeback haben kann. Tatsächlich sind manche Kosmologen davon überzeugt, dass ein Universum, das zu 96 Prozent von unbekannten Einflüssen dirigiert wird, nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. So wie es momentan aussieht, ist es allerdings schwierig, hinter den derzeitigen Stand der Dinge zurückzugehen. In den letzten Jahren ist das neue Weltmodell der Kosmologen nämlich durch zahlreiche Beobachtungen untermauert worden. So konnte anhand von weit entfernten Supernova-Explosionen der Zeitpunkt eingekreist werden, an dem die dunkle Energie die Oberhand über die Materie gewonnen hat und aus der gebremsten Expansion eine beschleunigte geworden ist. Den gleichen Umschwung belegen auch Galaxienhaufen, die kürzlich mit dem Röntgenteleskop «Chandra» beobachtet worden sind. Diese Vielzahl von Bestätigungen hat das Vertrauen in das neue kosmologische Modell deutlich gestärkt.

Rätsel über Rätsel

Unbefriedigend ist allerdings, dass man bis heute so gut wie nichts über den Ursprung der kosmologischen Konstanten aussagen kann. Bereits in den späten 1960er Jahren ist der Versuch unternommen worden, sie mit der Energie des Vakuums in Verbindung zu bringen. Gemäss heutigen Vorstellungen ist das Vakuum nämlich nicht wirklich leer. Ständig entstehen aus dem Nichts Teilchen und verschwinden ebenso plötzlich. Versucht man jedoch, den Beitrag dieser Quantenfluktuationen zur Energiedichte des Vakuums abzuschätzen (eine exakte Berechnung ist bis heute nicht möglich), so landet man bei einem Wert, der mindestens 50 Grössenordnungen zu gross ist.

Man kann es auch von einem theoretischen Standpunkt aus betrachten. Dann ist es völlig rätselhaft, warum die kosmologische Konstante so unvorstellbar klein ist. Einfacher noch wäre es zu verstehen, wenn sie völlig verschwände. Das liesse sich möglicherweise mit unbekannten Symmetrieprinzipien in der Teilchenphysik erklären. So wie es aussieht, scheint die kosmologische Konstante jedoch nicht gewillt zu sein, den Teilchenphysikern diesen Gefallen zu tun.

Weiterführende Literatur: Norbert Straumann: The History of the Cosmological Constant Problem; www.arxiv.org/abs/gr-qc/0208027. John Earman: Lambda - The Constant That Refuses to Die; Arch. Hist. Exact Sci. 55, 189-220 (2001).