Mittwoch, 29. Dezember 2004 · Nr.304

AUSLAND

Neue Zürcher Zeitung


Tsunami-Wellen breiten sich ungleichförmig aus

Geringer Energieverlust über Tausende von Kilometern

NOAA Computeranimation von Tsunami-Wellen (QuickTime Movie 5.79MB)

Computeranimation der amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration für die Wellenausbreitung nach dem Seebeben vom 26. Dezember vor der Nordwestküste Sumatras (Zeitentwicklung von links nach rechts). Die Wellenfronten sind rot markiert. (Bild NOAA / Getty Images).

H. W. Der Tsunami, der am Sonntagmorgen durch das stärkste Erdbeben seit vierzig Jahren vor der Küste Sumatras ausgelöst worden war, hat sich innerhalb einiger Stunden über ein riesiges Gebiet im Indischen Ozean ausgebreitet. So wurde auch Somalia, dessen Küste sich etwa 4500 Kilometer vom Epizentrum des Bebens entfernt befindet, noch von der zerstörerischen Wellenfront erreicht. Die abgebildeten Illustrationen zeigen eine Computersimulation der amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) von der Wellenausbreitung am vergangenen Sonntag.

Geringe Wellenhöhe auf hoher See

Dass Tsunamis sich so weit ausbreiten können, hängt damit zusammen, dass sie sich von gewöhnlichen Wasserwellen in wesentlichen Punkten unterscheiden. Diese werden von starkem Wind an der Oberfläche eines Gewässers erzeugt und haben eine relativ kurze Wellenlänge; sie schlagen laut der NOAA typischerweise in Abständen von etwa 10 Sekunden ans Ufer. Ein Tsunami dagegen kann - abhängig von der Stärke der Ursache - eine sehr grosse Wellenlänge von mehr als 100 Kilometern aufweisen. Er trifft in mehreren Wellenbergen und -tälern, welche bis zu 45 Minuten auseinander liegen können, am Ufer auf.

Oft werden Tsunamis durch Seebeben verursacht, sie können jedoch auch durch andere heftige und impulsive Störungen, wie etwa Vulkanausbrüche oder Erdrutsche am Grund des Gewässers, hervorgerufen werden. Dabei wird ein grosses Volumen von Wasser aus der Gleichgewichtsposition verschoben, und durch den Einfluss der Schwerkraft bilden sich energiereiche Wellen, die sich im Gewässer in alle Richtungen fortpflanzen. Tsunamis sind keine oberflächlichen Wellen, sondern reichen immer bis hinunter zum Meeresgrund. Dennoch sind sie auf hoher See kaum zu entdecken, denn der Höhenunterschied von Wellental zu Wellenberg beträgt oft nur einige Zentimeter. Wegen ihrer grossen Wellenlänge verhalten sie sich zudem wie Flachwasserwellen, das heisst, ihre Geschwindigkeit ist proportional zur Wassertiefe: Liegt der Meeresgrund zum Beispiel in einer Tiefe von 6000 Metern, so bewegt sich die Welle mit einer sehr hohen Geschwindigkeit von etwa 800 Kilometern pro Stunde. Trifft die Welle jedoch in seichtere Gewässer und schliesslich aufs Ufer, so verlangsamt sie sich, und ihre Wellenlänge nimmt ab.


Die im Tsunami gespeicherte Energie jedoch geht nicht verloren, sondern lässt die Wellen bei abnehmender Geschwindigkeit auf eine Höhe von bis zu 30 Metern ansteigen. Diese treffen dann mit grosser Wucht auf die Küste. Die verheerende Wirkung der Wellen kann noch verstärkt werden, wenn sie in einer Bucht gebündelt werden oder sich nach mehrmaliger Brechung mit dem nachfolgenden Wellenberg zu einer höheren Welle überlagern. So kann eine Welle noch Hunderte von Metern weit im Hinterland grosse Schäden anrichten. Die Zerstörungskraft der Welle ist aber auch vom Gefälle der Küste abhängig: Bei kleinen Inseln mit steilen Küsten oder vorgelagerten Korallenriffen sind normalerweise nur geringe Wellenhöhen zu verzeichnen.

Auswirkungen quer über die Weltmeere

Der Energieverlust einer Welle ist umso kleiner, je grösser die Wellenlänge ist. Deshalb sind die langwelligen Tsunamis nicht nur sehr schnell unterwegs, sondern können sich quer über die Weltmeere viele tausend Kilometer weit ausbreiten. Als 1883 der Vulkan auf der Insel Krakatau zwischen Java und Sumatra explodierte und gewaltige Flutwellen auslöste, konnten diese sogar noch im Ärmelkanal gemessen werden. Die Höhe der Wellen war aber längst nicht überall gleich gross. Weil die Geschwindigkeit eines Tsunami von der Wassertiefe abhängt, breiten sich seine Wellen zudem nicht kreisförmig aus. So kommt der Tsunami je nach Bodenbeschaffenheit in gewisse Richtungen langsamer, in andere schneller voran. Durch das Relief des Meeresbodens werden die Wellen auch abgelenkt und suchen so bestimmte Küstenstriche bevorzugt heim. Für eine genaue Vorhersage der Zeit, zu der eine Welle am Ufer eintrifft, ist deshalb die Kenntnis des Meeresgrundes unabdingbar.

Auch die Orientierung des Bruchs bei einem Erdbeben spielt eine wichtige Rolle, weil sich die grösste Energiemenge in den Wellen senkrecht zur Bruchrichtung ausbreitet, wie auf der Website des Internationalen Tsunami-Informationszentrums in Honolulu nachzulesen ist. Dies dürfte der Grund sein, weshalb etwa in Australien praktisch keine Schäden zu verzeichnen sind.


siehe auch:
Andaman gif animation 645KB

Andaman gif animation 645KB


IOC Windows Media Video 409KB

IOC Windows Media Video 409KB


NOAA QuickTime Movie 5.79MB

NOAA QuickTime Movie 5.79MB