NZZ am Sonntag · 15. Mai 2005
  WISSEN

Ultraschall statt Chlor ins Wasser

Die Kraft von hochfrequenten Schallwellen zerstört Bakterien und giftige Stoffe. Von Jo Schilling

Schallwellen, die mit einer Frequenz von mehr als 20 Kilohertz durch den Äther schwingen, überfordern unsere Ohren. Dort beginnt der unhörbare Ultraschall. Fledermäuse navigieren mit seiner Hilfe, Wale nutzen ihn als Betäubungsmittel, und Mediziner schauen mit Schallwellen ins Innere des menschlichen Körpers. Wissenschafter der Technischen Universität Hamburg-Harburg nutzen nun das Zerstörungspotenzial der hochfrequenten Schallwellen, die bei ausreichender Intensität Bakterien töten und giftige organische Chemikalien unschädlich machen. Kavitation heisst das Phänomen, mit dem die Abwassertechniker Klärschlamm aufarbeiten, Abwasser reinigen oder sogar den Chlorverbrauch in Schwimmbädern reduzieren. Optiker nutzen den gleichen Effekt zum Reinigen von Gläsern.

Das Prinzip ist einfach: Durch die mit der Ultraschallwelle einhergehenden Druckschwankungen bilden sich im Wasser winzige Gasbläschen. Sie fallen spontan wieder in sich zusammen - sie implodieren regelrecht -, sobald sich der Druck im Wasser wieder ausgleicht. Wassermoleküle, die in die Hohlräume der Bläschen hineinfallen, ziehen alles in ihrer nächsten Umgebung mit sich. Schwimmt ein Bakterium in dieser Zone, zerreissen die Kräfte seine Wände.

Stoff für Faultürme

Bei Intensitäten von 10 bis 100 Watt pro Quadratzentimeter bestrahlter Fläche verwandeln die Wellen Bakterien in Zellmatsch. Je höher die Frequenz der Wellen, desto kleiner und aggressiver werden die Bläschen. Bei 100 bis 500 Kilohertz entstehen in ihrem Zentrum Drücke bis zu 500 bar und Temperaturen von etwa 5000 Grad Celsius. «Man kann das mit den Bedingungen auf der Sonnenoberfläche vergleichen», erzählt Klaus Nickel, der inzwischen die Firma Ultrawaves in Harburg gegründet hat. Das reicht aus, um chlorhaltige organische Verbindungen oder andere grosse Moleküle zu zerlegen.

Keimfreies Vergnügen im Schwimmingpool

Ideen über Ideen haben die Harburger für neue Anwendungen ihres Ultraschalls. Mal ist es der Pizza-Hersteller, der seine Förderbänder nicht mehr mit Chlor desinfizieren möchte. Mal sollen Chemikalien in Industrieabwässern zerstört werden. Der Leiter der Abwasserwirtschaft, Uwe Neis, hat noch viel vor: «Wir überlegen, das Wasser in Schwimmbädern mit Ultraschall zu desinfizieren oder auch die keimhaltigen Abwässer von Krankenhäusern. Auf den Einsatz von Chlor könnte man dann verzichten.»

«Unser Top Thema ist die Klärschlammbehandlung für Biogasanlagen», erklärt Nickel. Klärschlamm fällt in der biologischen Reinigungsstufe von Kläranlagen in riesigen Mengen an. Experten schätzen, dass 100 000 Einwohner alle zwei Tage ein Reihen-haus mit dem dicken Brei aus Mikroorganismen und Abbauprodukten füllen könnten. Das ist nicht gerade eine leckere Vorstellung, aber immerhin wird der Schlamm inzwischen als guter Rohstoff für die Gewinnung regenerativer Energie aus Biogasanlagen angesehen. «Die Zellen werden vom Ultraschall aufgeschlossen und dabei verflüssigt. Dieses verflüssigte Material ist im Faulturm, in dem das Biogas entsteht, besser umsetzbar. Das Futter für die Faulbakterien wird sozusagen besser verfügbar gemacht.»

Bis zu 30 Prozent mehr Biogas erzeugt der Faulturm, wenn der Brei vorher wenige Sekunden durch den Reaktor läuft, und damit ist die Energiemenge, die in die Ultraschallwellen gesteckt werden muss, geringer als der Energiegewinn durch die höhere Gasausbeute. Zudem ist der Reaktor nicht grösser als ein Koffer für einen Wochenendausflug, und das Verfahren spart Zeit. «Normalerweise hat der Klärschlamm 20 Tage Aufenthaltszeit im Faulbehälter, aber durch die Behandlung der Zellen mit Ultraschall reduzieren wir die Faulzeit auf vier Tage.»

Auch das Abwasser behandeln die Harburger mit Ultraschall. Sie desinfizieren es beispielsweise. Das konkrete Forschungsprojekt: «An Nord- und Ostsee gibt es einige Strände, deren Wasserqualität von den Umweltämtern überwacht wird.

Besser als Chlor

Dementsprechend müssen die Kläranlagen ihre Abwässer desinfizieren, um die Belastung nicht noch weiter zu erhöhen», erklärt Torben Blume, Wissenschafter im Arbeitsbereich Abwasserwirtschaft. «Die Hauptkonkurrenz beim Entkeimen ist UV-Licht», meint der Ingenieur, «aber das hat Nachteile bei getrübten Abwässern.» Enthält das Wasser viele Feststoffe, ballen die sich zu Flocken zusammen. Das Ultraviolette Licht erreicht dann nur die aussen liegenden Keime, die in den tieferen Lagen überleben. «Wir denken an eine Kombination, um das Problem zu lösen sen», sagt Nickel. «Mit dem Ultraschall zerlegen wir die Flocken und töten sie dann mit UV-Licht ab.» Die lockeren Verbünde zwischen den Bakterien sind schnell gesprengt. «Nach einer Sekunde sind die Flocken kaputt.» Um die Keime nicht nur mit dem Ultraschall voneinander zu trennen, sondern tatsächlich sämtliche Keime im Abwasser zu töten, müssten die Schallzeiten erheblich länger sein und die Intensitäten höher - die Kombination ist damit die pragmatische Alternative.