Neue 3ürcher 3eitung

FORSCHUNG UND TECHNIK

Mittwoch, 13. September 2006 · Nr.212


Auf den Spuren des Urknalls

Was die kosmische Hintergrundstrahlung über den Ursprung des Universums verrät

Von Ruth Durrer und Martin Kunz*


Die kosmische Hintergrundstrahlung ist ein Relikt aus der Frühzeit des Universums. Die Entschlüsselung dieser Strahlung mit dem WMAP-Satelliten hat massgeblich zur Konsolidierung und zur Verfeinerung des Urknallmodells beigetragen.

Die Kosmologie hat in den vergangenen Jahren einen enormen Aufschwung erlebt. Früher wurde sie oft als spekulative Angelegenheit belächelt. Heute gibt es jedoch eine solche Fülle von Beobachtungsdaten, dass es möglich geworden ist, kosmologische Modelle mit einer Genauigkeit von wenigen Prozent zu überprüfen. Als wahre Schatztruhe hat sich dabei die kosmische Hintergrundstrahlung entpuppt. Sie ist der Schlüssel zum Verständnis des frühen Universums. Mit der «Wilkinson Microwave Anisotropy Probe» (WMAP), einem Satelliten der Nasa, ist es Kosmologen in den vergangenen fünf Jahren gelungen, dieser Strahlung einige wichtige Informationen über die Zusammensetzung und die Geometrie des Universums zu entlocken. Andere Schätze warten noch darauf, geborgen zu werden.

Fossile Strahlung

Um zu verstehen, warum die kosmische Hintergrundstrahlung so wertvoll für die Wissenschaft ist, muss man sich vor Augen führen, woher diese Strahlung stammt. Kurz nach dem Urknall war das Universum nicht nur viel dichter, sondern auch viel heisser als heute. Die kosmische Materie setzte sich damals aus Protonen und Neutronen, Elektronen, Neutrinos und den unbekannten Teilchen der dunklen Materie zusammen. Dieses Plasma war mit Photonen (Lichtteilchen) durchsetzt, die fortwährend an den Plasma-Teilchen gestreut wurden und sich deshalb nicht frei ausbreiten konnten.

Einige hunderttausend Jahre nach dem Urknall hatte sich das heisse Plasma so weit abgekühlt, dass sich Elektronen und Protonen zu Wasserstoff verbinden konnten. Nach dieser sogenannten Rekombination war das Universum durchsichtig für die Photonen. Seither breiten diese sich ungehindert aus, beeinflusst einzig von der Expansion des Universum. Durch diese Ausdehnung wurde die Wellenlänge der Strahlung um den Faktor 1000 gestreckt (Rotverschiebung) - heute liegt sie im Zentimeter-Bereich, was Mikrowellen entspricht. Man spricht daher auch vom Mikrowellenhintergrund.

Der kosmische Mikrowellenhintergrund wurde in den 1940er Jahren von dem russischen Physiker Georg Gamov und seinen Mitarbeitern vor-ausgesagt und 1965 von den Radioastronomen Arno Allan Penzias und Robert Woodrow Wilson zufällig entdeckt. Diese Entdeckung verhalf dem Urknall-Modell des Universums zum Durchbruch und wurde 1978 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.


Das Spektrum der Fluktuationen im Mikrowellenhintergrund lässt Aussagen über die Raumkrümmung und die Materiedichte zu.

Die Keime der ersten Galaxien

Aus der kosmischen Hintergrundstralung kann man nicht nur herauslesen, dass das Universum aus einem Urknall hervorgegangen sein muss. Ihr Informationsgehalt ist sehr viel grösser. Die Beobachtung dieser Strahlung erlaubt im wahrsten Sinne des Wortes eine «Fotografie» des Weltalls zum Zeitpunkt der Rekombination, also 385 000 Jahre nach dem Urknall. Damals war die Materie im Universum nahezu perfekt gleichmässig verteilt. Aber damit sich all die Galaxien und Galaxienhaufen, die wir heute beobachten, unter dem Einfluss der Gravitationskraft bilden konnten, mussten schon zu jener Zeit kleinste Dichte-Fluktuationen existiert haben.

Schon früh war klar, dass diese Ungleichmässigkeiten in der Materieverteilung zu winzigen Temperaturfluktuationen der kosmischen Mikrowellenstrahlung führen sollten. David Wilkinson von der Princeton University (nach dem der WMAP-Satellit benannt ist) suchte bereits Ende der 1960er Jahre danach. Die damaligen Apparaturen waren jedoch nicht empfindlich genug, und so wurden die kleinen Unebenheiten im kosmischen Mikrowellenhintergrund erst 1992 mit dem Nasa-Satelliten «Cobe» (Cosmic Background Explorer) entdeckt.


* Ruth Durrer ist Professorin für theoretische Physik an der Universität Genf, Martin Kunz Assistenzprofessor. Die Genfer Kosmologie-Gruppe beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, woher die Fluktuationen im Mikrowellenhintergrund kommen.


Wie verhalten sich solche Dichte- Fluktuationen im Lauf der Zeit? Betrachten wir ein Gebiet im Universum mit einer überdurchschnittlich hohen Dichte. Da die Schwerkraft immer anziehend wirkt, möchte dieser Bereich in sich zusammenfallen. Weil sich die Schwerkraft aber nicht schneller als Licht ausbreiten kann, muss sich die Region gedulden, bis das Universum ein Alter er- reicht hat, das der Laufzeit des Lichts von einem Ende der Region zum anderen entspricht. Erst dann kann sie kollabieren. Das tut sie so lange, bis der Überdruck (denn das heisse Plasma hat einen sehr hohen Druck) stärker wird als die Schwerkraft. Von dem Moment an dehnt sich die Region unter Einfluss des Druckes aus, bis die Schwerkraft wieder gewinnt. Dieses Hin und Her führt zu Schwingungen, die sich wie Schallwellen im Universum fortpflanzen.

Modelle der Raumkrümmung
Je nach Krümmung erscheint ein Massstab unter grösserem (oben) oder kleinerem (Mitte) Winkel als in der flachen Ebene.

Die gemessenen Temperaturfluktuationen im kosmischen Mikrowellenhintergrund zeigen eine Momentaufnahme solcher Schwingungen zum Zeitpunkt der eingangs erwähnten Rekombination. Das entspricht ziemlich genau der Foto einer schwingenden Trommel oder Saite. Wie bei einer Saite werden neben der Grundschwingung auch Oberschwingungen mit kürzeren Wellenlängen angeregt. Es ist nun recht einfach, die Wellenlängen dieser Schwingungen (nicht zu verwechseln mit der Wellenlänge der Photonen der Hintergrundstrahlung selbst!) zu messen.

Was können Kosmologen aus den Beobachtungen der Fluktuationen im Mikrowellenhintergrund über das Universum lernen? Ganz allgemein beeinflussen die Zusammensetzung des kosmischen Plasmas und die Raum-Zeit-Geometrie die Details dieser Schwingungen, und man kann so Rückschlüsse auf die Zusammensetzung und die Geschichte des Alls ziehen. Einige davon sind recht einfach: Zum Beispiel liefert uns die Wellenlänge der Grundschwingung einen bekannten (berechenbaren) «Massstab».

Man sieht diese Länge aber nicht direkt, sondern nur ihre Projektion auf die Himmelssphäre. Der Winkel, den der projizierte Massstab dort einschliesst, hängt von der Raumkrümmung ab: Licht breitet sich nur in einem flachen Universum auf einer geraden Linie aus. Ist der Raum gekrümmt, so ändert sich der Winkel, unter dem wir den Massstab sehen (siehe Abbildung). Die im Jahr 2003 publizierten Resultate des WMAP-Teams bestätigten, was zuvor bereits andere Experimente angedeutet hatten: Der Raum ist ganz oder zumindest nahezu flach. Daraus wiederum lässt sich auf die Energiedichte im Universum schliessen, denn Energie krümmt den Raum.

Mit dem kosmischen Mikrowellenhintergrund können wir auch die Materie wiegen: Die Elementarteilchen wurden im frühen Universum vom Licht regelrecht herumgeschubst und mussten die Oszillationen des Plasmas mitmachen. Wäre dies nicht der Fall, so wären Kollaps und Expansion des Plasmas gleich stark gewesen, so wie eine Saite nach oben und unten gleich stark ausschwingt. Eine extrem schwere Saite würde allerdings unter dem Einfluss der Erdanziehungskraft mehr nach unten als nach oben schwingen. Genau diese Rolle spielte damals die Schwere der (massiven) Elementarteilchen, und so wurden die Schwingungen des Plasmas asymmetrisch (siehe Abbildung). Das Verhältnis der Grundschwingung zur ersten Oberschwingung erlaubt direkte Aussagen darüber, wie viele Teilchen damals mitschwangen.

Nicht nur die Elementarteilchen, aus denen wir bestehen, die sogenannten Baryonen, können auf diese Weise gewogen werden, sondern auch die Teilchen der dunklen Materie (auch wenn man bis heute noch nicht weiss, welcher Art diese Teilchen sind). Wie die Wissenschafter des WMAP-Teams vor drei Jahren feststellten, tragen die Baryonen nur zirka 5 Prozent zur Energiedichte im Weltraum bei. Aber auch die dunkle Materie macht nur etwa 20 Prozent aus. Der Rest wird «dunkle Energie» genannt. Von ihr wissen wir fast nichts, ausser dass sie gravitativ abstossend wirken muss und damit zu einer beschleunigten Expansion des Universums führt.


Der Ursprung der dunklen Energie

R.D./M.K.  Im Standardmodell der Kosmologie wird angenommen, dass die dunkle Energie einer kosmologischen Konstanten entspricht. Dieses Modell stimmt mit allen Beobachtungen glänzend überein. Trotzdem sind nicht alle Kosmologen glücklich damit. Sie halten es für einen unwahrscheinlichen Zufall, dass die dunkle Energie ausgerechnet heute ungefähr gleich gross ist wie die Energiedichte der Materie. In der Vergangenheit, als das Universum wesentlich dichter war als heute, muss die dunkle Energie - falls sie tatsächlich konstant ist - vernachlässigbar gewesen sein. In der Zukunft hingegen (wir sprechen von einigen Milliarden Jahren) wird sie der einzige relevante Beitrag zur Energiedichte des Universums sein, da sich die Materie mit der Expansion immer mehr verdünnt.

Angesichts dieser merkwürdigen Koinzidenz haben Forscher alternativ vorgeschlagen, die dunkle Energie mit einem hypothetischen zeitabhängigen Feld (der sogenannten Quintessenz) zu assoziieren, dessen Energiedichte während langer Zeit nur einen kleinen Bruchteil der Materiedichte ausmachte und erst heute zu dominieren beginnt. Aber auch in diesem Fall müssen die Anfangsbedingungen fein eingestellt werden, damit das Modell mit den Daten übereinstimmt. Eine andere Möglichkeit ist, dass die Einsteinsche allgemeine Relativitätstheorie auf kosmologischen Skalen nicht mehr gültig ist. Diese und andere Hypothesen sind Gegenstand der gegenwärtigen Forschung. Sie können zurzeit weder ausgeschlossen werden, noch ist es sicher, dass sie die bisherigen Beobachtungen richtig wiedergeben.


Konvergierende Resultate

Die Vermessung der Hintergrundstrahlung ist natürlich nicht die einzig mögliche kosmologische Messung. So wird das Licht weit entfernter Galaxien durch die Schwerkraft von näheren Galaxienhaufen abgelenkt. Mit diesem Gravitationslinsen-Effekt kann man die Galaxien wiegen und so auch die Massendichte im Universum abschätzen. Auch die Art und Weise, wie die Galaxien Klumpen bilden, misst den Anteil der Materie am gesamten Energiebudget des Universums. Man findet in beiden Fällen einen Wert, der gut mit dem WMAP-Resultat übereinstimmt. Auch die Distanzmessungen mittels explodierender Sterne(Supernovae) können mit dem kosmischen Mikrowellenhintergrund kombiniert werden und führen zu denselben Schlussfolgerungen.

Diese Übereinstimmung der Resultate verschiedener Messungen ist ein wichtiger Test des Urknallmodells. Dank diesen (und weiteren) Übereinstimmungen, die zeigen, dass der kosmische Mikrowellenhintergrund tatsächlich ein Überbleibsel aus der heissen Kindheit des Universums ist, wird dieses Modell heute allgemein von den Kosmologen akzeptiert. Die Schlussfolgerung, dass wir 95 Prozent des Inhalts des Universums nicht verstehen, ist jedoch ziemlich beunruhigend (siehe Kasten).

Hinweise auf inflationäre Expansion

Die Fluktuationen in der Hintergrundstrahlung erlauben uns nicht nur die Messung kosmologischer Parameter wie der Massendichte und der Raumkrümmung, sondern sie enthalten auch Informationen über eine viel frühere Phase, als das Universum erst winzige Sekundenbruchteile alt war - denn die Fluktuationen müssen damals bereits angelegt gewesen sein. Zu dieser Zeit war die mittlere Energie der Teilchen um mehr als das Billionenfache höher als die Energie, die nächstes Jahr am «Large Hadron Collider» am Cern, dem grössten Teilchenbeschleuniger der Welt, erreicht wird. Wir haben damit Zugang zur Physik bei Energien, wie sie im Labor wohl nie erreicht werden können.

In dieser frühen Phase dehnte sich das Universum vermutlich extrem schnell aus. Durch diese sogenannte Inflation werden winzigste Fluktuationen, die gemäss quantenmechanischen Gesetzmässigkeiten unvermeidlich sind, auf makroskopische Skalen ausgedehnt. Das führt zu einem berechenbaren Spektrum von Fluktuationen, deren Amplitude mit steigender Wellenlänge schwach anwächst. Dieses leichte Anwachsen wurde vor wenigen Monaten durch das WMAP-Experiment bestätigt. Frühere Experimente waren auch mit einem leicht abfallenden Spektrum verträglich.

Es ist denkbar, dass die Fluktuationen im kosmischen Mikrowellenhintergrund sogar Informationen über die noch unbekannte Quantentheorie der Schwerkraft enthalten. Die zurzeit vielversprechendste Theorie der Quantengravitation ist die sogenannte Stringtheorie. Es gibt aber auch andere Ansätze. Die Modelle machen zum Teil unterschiedliche Aussagen darüber, wie sich Gravitationswellen, die von der Inflations- Phase herrühren, auf die Hintergrundstrahlung auswirken. Damit ist es im Prinzip möglich, die Modelle zu testen. Die vorher gesagten Effekte sind allerdings so klein, dass sie mit dem WMAP-Satelliten nicht gemessen werden können.

Nächstes Jahr wird der Planck-Satellit der ESA auf die Reise geschickt. Dieser misst die Hintergrundstrahlung bei mehr Frequenzen und mit einer höheren Winkel-Auflösung. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Satellit (oder ein Nachfolger) den charakteristischen Fingerabdruck von Gravitationswellen in der Hintergrundstrahlung entdecken und Informationen über die schwer zu testenden Modelle der Quantengravitation liefern kann. So oder so ist es atemberaubend, dass die Galaxien, Sterne und letztlich auch wir Menschen vermutlich aus winzigen Quantenfluktuation hervorgegangen sind und dass wir diese Fluktuationen sogar «fotografieren» können.


Karte der Hintergrundstrahlung
Die kosmische Hintergrundstrahlung ist gleichmässig über den Himmel verteilt. Genaue Messungen machen jedoch Flecken sichtbar, die geringfügig wärmer (rot) und kälter (blau) sind als der Durchschnitt. Diese Fluktuationen enthalten Hinweise auf die frühesten Strukturen im Universum, aus denen sich später Galaxien und Galaxienhaufen entwickelten. NASA/ WMAP SCIENCE TEAM