Ein neues Modell vom Ursprung des Universums

Erste Zweifel am Urknall - Physiker entwickeln neue Theorien und ernten Kritik von ihren Kollegen.
Von Joachim Laukenmann

    Im Anfang war der Urknall. Diese erstmals 1947 formulierte These konnte in den vergangenen So Jahren immer besser ausformuliert und durch astronomische Beobachtungen gestützt werden. Doch jetzt scheint die Urknallhypothese Konkurrenz zu erhalten.

Das Ekpyrotische Universum
Konkurrenz für die Urknallhypothese
Ursprung des Universums
Vor der Kollision ist unser Universum kalt und leer. Aus einem unsichtbaren Paralleluniversum nähert sich eine Membran, eine Energie transportierende Fläche. Die Energie wird beim Zusammenstoss mit unserem Universum in Licht und Materie verwandelt. Galaxien, Sterne and Planeten ent-stehen.
    «Unser Modell schreibt die Geschichte der ersten Momente des Universums neu», sagt Paul Steinhardt von der Princeton-Universität in den USA. Gemeinsam mit drei Kollegen von Princeton und den Universitäten Pennsylvania und Cambridge hat er das Modell entworfen, das auf einer viel versprechenden, elfdimensionalen Theorie aufbaut, der so genannten M-Theorie (siehe Kasten). In diesem vieldimensionalen Raum können gleichzeitig mehrere Paralleluniversen existieren. Sterne und Galaxien unseres Universums sind laut der neuen Theorie entstanden, als sich Energie aus einem anderen, unsichtbaren Paralleluniversum näherte und in unseren Raum eindrang. Bei der Kollision unseres Universums mit der Fläche (Membran), die diese Energie transpor-tierte, entstand ein heisses Bad aus Strahlung und Materie, aus dem sich anschliessend das Universum bildete, wie es die Astronomen heute mit ihren Teleskopen sehen.
STICHWORT

M-Theorie

Die M-Theorie, die mehrere der so genannten Superstring-Theorien zusammenfasst, gilt als heisser Kandidat für eine vereinheitlichte Theorie: Alle Kräfte der Natur, sowohl die Gravitation als auch die Kern-kräfte und die elektromagnetische Kraft, sollen darin unisono zum Ausdruck kommen.
Das Universum, auf dem Steinhardts Vorstellung fusst, besitzt effektiv fünf Dimensionen. Neben den drei Raumkoordinaten und der Zeit gibt es eine fünfte Dimension, die für uns allerdings nicht sichtbar ist, weil sich Licht und andere Naturkräfte nur entlang den drei Raumdimensionen ausbreiten. Das ist auch der Grund, warum Paralleluniversen für uns nicht sichtbar sind.
Wenn die Vorstellung vom Ekpyrotischen Universum stimmt, dann kann sich aus einem verborgenen Universum Energie lösen und sich auf un-eren Raum zubewegen. Mit dem Crash beginnt die heisse Geschichte vom Anfang unseres Kosmos.
Es gibt eine Vielzahl von Modellen dieser Art, die im Rahmen der M-Theorie konstruiert wurden. Das Ekpyrotische Universum ist nur eines davon - vielleicht aber eines mit Zukunft. (jl)
 

    Offenbar philosophisch gelehrt, haben die vier Physiker ihr Modell «Ekpyrotisches Universum» genannt, nach dem griechischen Wort «pyrosis» für Feuer. Dieser Ausdruck bezieht sich auf ein Modell von antiken Philosophen, demzufolge der Kosmos regelmässig durch Feuer vernichtet und aus den Flammen wieder neu geboren wird.

Eine erneute Kollision mit einem anderen Universum kann es nur in fernster Zukunft geben

Probleme mit dem Urknall

    «Das Ekpyrotische Universum stellt eine neue Lösung mehrerer Probleme dar, unter der die Urknalltheorie leidet», sagt Steinhardt. Zum Beispiel erklärt das Urknallmodell nur mit Schwierigkeiten, weshalb jeder Winkel des Weltalls nahezu identisch ist, obwohl verschiedene Bereiche des Alls nach diesem Modell nie in Kontakt standen. Das ist, als hätten zwei Maler, die auf getrennten Kontinenten leben und nie voneinander gehört haben, exakt dasselbe Bild angefertigt. So etwas riecht nach geheimer Absprache. Und so eine Absprache muss auch im Kosmos stattgefunden haben. Nur wie?
    «Das Ekpyrotische Universum ist so homogen, da die Kollision und der Übergang in die Urknallphase im gesamten Raum unseres Universums fast gleichzeitig stattgefunden hat», sagt Steinhardt. So herrschten überall dieselben Anfangsbedingungen, auch in Regionen, die unerreichbar weit auseinander lagen. Folglich sieht das Weltall auch heute überall nahezu gleich aus.
    Ebenso gelingt es angeblich mit dem neuen Modell zu erklären, wie winzig kleine Dichteschwankungen in der Ursuppe nach der Kollision später die Galaxien hervorbringen.
    «Mehrere Jahrzehnte dachte man, dass ein so genanntes infiationäres Universum die einzige Lösung dieser Probleme darstellt», sagt Burt Ovrut von der Universität Pennsylvania. Laut Inflationstheorie, die Alan Guth Anfang der Achtzigerjahre aufgestellt hat, durchlief das Universum kurz nach dem Urknall eine Phase enorm schneller Expansion, bei der alle Inhomogenitäten schlicht und einfach weggeblasen wurden. «Mit dem Ekpyrotischen Universum können wir die Probleme ohne Inflation lösen», behauptet Ovrut.

Werbekampagne wie für Coca-Cola

    Manche Kollegen sehen das anders. «Gegenwärtig sehe ich keinen Hinweis, dass das Ekpyrotische Universum eine brauchbare Alternative zur Inflation darstellt», kritisiert Andrei Linde von der renommierten Stanford-Universität in den USA. Linde hält auch die aggressive Öffentlichkeitsarbeit seiner Konkurrenten für fehl am Platze: «Ich und viele meiner Kollegen sind über die gewaltige Werbekampagne für dieses Modell unangenehm überrascht. Die verkaufen doch kein Coca-Cola.»
    Die Forscher um Steinhardt haben ihr Modell zwar bei einer Fachzeitschrift eingereicht, bislang aber nur in einem Internetarchiv veröffentlicht. Im gleichen Archiv haben Linde und zwei Kollegen bereits eine vernichtende Kritik über das Ekpyrotische Universum präsentiert. «Wir sind der Meinung, dass diese Leute einen zentralen Punkt missverstanden haben» , sagt Linde. «Dadurch haben sie unserem Universum Eigenschaften zugesprochen, die eigentlich nur im Paralleluniversum vorliegen sollten.» Linde und seine Kollegen haben das korrigiert und gezeigt, dass ein völlig unbrauchbares Bild des Universums resultiert, das statt zu expandieren in sich zusammenstürzt. Ausserdem würde die laut Linde korrekte Version des Ekpyrotischen Universums das Problem mit der Homogenität des Universums nicht lösen, sondern noch verschlimmern.
    Die Verfechter des neuen Modells wollen davon nichts wissen. «Die Veröffentlichung von Linde und Kollegen macht grobe Falschaussagen», sagt Steinhardt, der selbst bei der Ausarbeitung der Inflationstheorie mitgewirkt hat. Steinhardt gesteht allerdings ein, dass das Inflationsmodell ausgereifter und besser verstanden ist als die noch junge Idee vom Ekpyrotischen Universum, die auf noch unbewiesenen Ideen der so genannten String-Theorie beruht. «Unser Modell ist weit davon entfernt, vollständig zu sein», meint auch Neil Turok von der Universität Cambridge.

Eine ungemütliche Beobachtung

    Vielleicht lässt sich der Disput in Zukunft durch eine höhere Instanz lösen: das Experiment. «Die beiden Modelle machen unterschiedliche Vorhersagen bezüglich des Spektrums von Gravitationswellen», sagt Steinhardt. Deren Untersuchung könnte demnach zeigen, ob die Verfechter der Inflation oder des Ekpyrotischen Universums Recht haben oder ob sich beide Parteien täuschen. Derzeit sind mehrere Experimente im Bau oder geplant, um erstmals solche Gravitationswellen direkt nachzuweisen.
    Eine ungemütliche Beobachtung könnte die definitive Bestätigung des Ekpyrotischen Universums liefern. «Es ist nicht ausgeschlossen, dass es in Zukunft eine weitere Kollision mit einem Paralleluniversum gibt», sagt Turok. Dadurch würde unser Universum der antiken Philosophie gerecht: Der Weltuntergang käme im Feuer und der Neuanfang in einer heissen Ursuppe wie nach dem ersten Crash. Doch dafür gibt es im Moment keinerlei Anzeichen. «Wenn es eine neue Kollision geben sollte», sagt Burt Ovrut, «dann nur in fernster Zukunft.»

 

Tages-Anzeiger ¤ Freitag, 11.Mai 2001