Es gehört zum Wissenschaftsbetrieb, dass Professoren gelegentlich zu anderen Instituten und Universitäten wechseln. Aber dass ein etablierter Forscher gleich sein ganzes Labor mitnimmt, ist nicht alltäglich. Henry Markram vom israelischen Weizmann-Institut hat es getan. Seit drei Jahren forscht er am neu gegründeten Brain Mind Institute (BMI) der ETH Lausanne, das zu nichts Geringerem als einem besseren Verständnis des menschlichen Geistes beitragen soll. Die Hochschule am Genfersee hat sich mit der Verpflichtung Markrams gegen das renommierte Massachusetts Institute of Technology durchgesetzt, das dem Israeli ebenfalls ein Angebot gemacht hatte.
Der Umzug scheint für die Wissenschaft und für die ETH Lausanne ein voller Erfolg zu werden. Zwar sind zurzeit erst 12 der 18 Lehrstühle und 130 der 200 Planstellen besetzt, doch soll das Institut bald seine Sollgrösse erreichen. Dann werden jedes Jahr durchschnittlich ein Dutzend Männer und Frauen ihre Doktorate in Lausanne beenden. Wichtigster Forschungsgegenstand ist die nur wenige Millimeter dicke Hirnrinde, der Neokortex, in dem das Bewusstsein und alle kognitiven Fähigkeiten lokalisiert sind. Schon jetzt gilt das junge Brain Mind Institute als weltweit führend auf seinem Gebiet.
Das Gehirn simulieren
Vor wenigen Monaten berichteten CNN, BBC und die internationale Tagespresse über die Inbetriebnahme eines IBM-Supercomputers namens Blue Gene am BMI, mit dem die neokortikale Neuronensäule - der Grundbaustein des Gehirns - sowie die Interaktionen zwischen ihren Nervenzellen simuliert werden sollen. In dem Projekt, das unter dem Namen Blue Brain läuft, soll im Computer eine dreidimensionale Neuronensäule simuliert werden. Dies soll es erlauben, die Informationsverarbeitung des Gehirns besser zu verstehen, aber auch die Ursachen von Autismus, Schizophrenie, Depression aufzuklären.
Das Prinzip ist einfach: Durch die mit der Ultraschallwelle einhergehenden Druckschwankungen bilden sich im Wasser winzige Gasbläschen. Sie fallen spontan wieder in sich zusammen - sie implodieren regelrecht -, sobald sich der Druck im Wasser wieder ausgleicht. Wassermoleküle, die in die Hohlräume der Bläschen hineinfallen, ziehen alles in ihrer nächsten Umgebung mit sich. Schwimmt ein Bakterium in dieser Zone, zerreissen die Kräfte seine Wände.
Markram empfängt den Besucher in seinem grossen und hellen Büro. Der 43-jährige Initiator und Spiritus Rector des BMI - gross gewachsen, breitschultrig, mit stahlgrauen Augen - besitzt Aussehen und Charisma, wie man es sich bei einem modernen Superstar der Wissenschaft vorstellt. Sein Institut erstreckt sich über mehrere Stockwerke des Life-Sciences-Gebäudes der ETH Lausanne.
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Forschungsstar an der ETH Lausanne: Henry Markram. (Alban Kakulya/Strates)
Markram ist gebürtiger Südafrikaner und studierte in Kapstadt Medizin. Am Weizmann-Institut promovierte er in Neurophysiologie. In Israel lernte der in zweiter Ehe verheiratete Forscher seine erste Frau kennen, nahm die israelische Staatsbürgerschaft an und absolvierte den obligatorischen Militärdienst.
Nach Forschungsaufenthalten am National Institute of Health in Bethesda und am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg, wo er mit dem Nobelpreisträger Bert Sakmann zusammenarbeitete, kehrte er 1994 als Assistenzprofessor an das Weizmann-Institut zurück. Jahrelang untersuchte er dünne Scheiben von Mäusehirnen und analysierte, wie die Zellen miteinander verschaltet sind. Mit fünf Mitarbeitern nahm er Gehirnzellen auseinander, setzte sie wieder zusammen, kartographierte ihre Verbindungen und sammelte dabei die Daten, die zum Grundstock seiner weiteren Forschung werden sollten.
Die Zeit, die er in Israel verbrachte, bezeichnet Markram als sehr fruchtbar für seine Forschung. Aber er wurde sich bewusst, dass er zur Weiterführung seiner Forschung - insbesondere zur Simulierung des Neokortex - eine um einige Grössenordnungen grössere Rechenleistung benötigen würde, als ihm in Israel zur Verfügung stand.
Angebot vom Genfersee
Im Jahre 2000 machte ihm das Massachusetts Institute of Technology eine Offerte, die fast nicht zu refüsieren war: Aufbau einer eigenen Abteilung. Aber Markram tat das Undenkbare und schlug die Offerte aus. Zur gleichen Zeit hatte ihm Patrick Aebischer, Präsident der ETH Lausanne, ein noch interessanteres Angebot gemacht: völlig freie Hand beim Aufbau und der Gestaltung eines neuen Instituts. Markram war beeindruckt von der Vision, die ihm die Schweizer präsentierten. Während am MIT interdisziplinäre Zusammenarbeit gepflegt wird, sollte es hier erst gar keine Abteilungsgrenzen geben. Die ETH Lausanne garantierte ausserdem ein üppiges Budget - genaue Zahlen verrät Markram nicht.
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Seine Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Als Markram der ETH-Leitung die Beschaffung von Blue Brain vorschlug, dauerte es nicht lange, bis der Kauf bewilligt wurde. Seither reissen sich Institute aus aller Welt um eine Mitarbeit am Blue-Brain-Projekt.
Beim Rundgang durch die Labors erscheint Markram wie ein Kind in einem Spielzeugladen. Enthusiastisch erläutert er Zweck und Funktionsweisen der Apparate und Geräte. Seine Forschungsphilosophie spiegelt sich in der Innenarchitektur des Instituts wider. Interdisziplinarität wird durch die gemeinsame Belegung der Räumlichkeiten durch Studenten aller Forschungsrichtungen gepflegt.
Schweizer Ordnung
Obwohl Markram unterstreicht, dass das BMI vor allem Grundlagenforschung betreibe, erzählt er von futuristisch tönenden Neuroprothetik-Experimenten, die seine Mitarbeiter im Untergeschoss des Instituts machen. Eines Tages werden Invalide, so hoffen die Forscher, Arm- und Beinprothesen mittels Gedanken bewegen können. Und obwohl Markram die Erforschung von Krankheiten nicht für die vordringlichste Aufgabe seines Instituts hält, hat das BMI schon defekte Verschaltungen im Neokortex identifiziert, die bei Neugeborenen zu Autismus führen können.
Markram kann noch kein Französisch und wird es so bald wohl auch nicht lernen. Er verbringt zu viele Stunden im Labor, und da wird Englisch gesprochen. An die Schweiz beginne er sich zu gewöhnen. In Israel sei alles etwas chaotisch gewesen, aber aus dem Chaos seien viele interessante Forschungsresultate entstanden. In der Schweiz laufe alles in geordneten Bahnen. Wie lässt sich dieser Drang nach Ordnung mit der Vision der Schweizer, die ihn seinerzeit so beeindruckt hatte, in Einklang bringen? «Na ja, hier will man eben eine geordnete Revolution», meint Markram lachend.
Markram hofft, innerhalb von zwei Jahren die aus zehn- bis hunderttausend Zellen zusammengesetzte neokortikale Säule zu verstehen. Innert zehn Jahren soll die Rechenkapazität von Blue Gene noch um einige Grössenordnungen auf hundert Millionen simulierte Zellen erhöht werden. Dann wird man anfangen können, die Gehirne von Säugetieren zu modellieren. Aber für ein Verständnis des Bewusstseins werden vermutlich auch schnellere Computer nicht genügen, gibt Markram zu bedenken. Denn welcher Mechanismus das menschliche Gehirn befähigt, ein Bewusstsein seiner selbst hervorzubringen, und ob sich die entsprechenden biologischen Vorgänge mit elektrischen Schaltkreisen reproduzieren lassen, kann heute noch kein Wissenschafter beantworten.
siehe auch Blue Gene Hirnsimulation
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